Es geht auch anders
Ein Mehrfamilienhaus strotzt vor Individualität und rücksichtsvollem Miteinander
Wird ein Einfamilienhaus auf einem Grundstück abgerissen, um ein Mehrfamilienhaus darauf zu errichten, wird meist jeder verfügbare Quadratzentimeter für Wohnraum ausgenutzt. Beim Mehrfamilienhaus von Berghaus Architekten aus Hamm, das für einen privaten Bauherrn geplant wurde, erfolgte das Gegenteil. Und nicht nur das, denn das Wohnhaus kommt außergewöhnlich individuell mit allerlei Besonderheiten daher. Es war ein Glücksfall – auch für die Nachbarschaft – dass Auftraggeber und Architekten mit ihren Vorstellungen und Ideen von Beginn an ganz nah beieinander waren.
So war klar: Das barrierefreie Gebäude mit zehn Wohneinheiten und Tiefgarage soll einen möglichst großen Abstand zur Nachbarschaftsbebauung mit seinem Mix aus Ein- und Zweifamilien- bis hin zu Mehrfamilienhäusern haben, eine verträgliche Kubatur aufweisen, damit die städtebauliche Struktur erhalten bleibt, und unterschiedliche Wohngrößen vorhalten. Für Aufsehen sorgt zudem das großzügige, verglaste Treppenhaus mit seiner orangefarbenen skulpturalen Stahltreppe: ein Ort der Begegnung, der Anonymität keinen Raum lässt und zugleich ein kulturelles Statement darstellt. „Orange ist die Lieblingsfarbe des Bauherrn und die Farbe der Aussichtstürme im für seine Gestaltung vielfach ausgezeichneten Lippepark Hamm, die unser Büro geplant hat. Das zu hören, hat ihn begeistert“, erläutert Architekt Jens Berghaus. Straßenseitig macht das Gebäude mit der durchgängigen Treppenhausverglasung und dem Gebäudeversatz eher den Anschein, dass dort zwei große Villen stehen, anstatt eines Mehrfamilienhauses.
Auf der Rückseite weist das Gebäude Vor- und Rücksprünge auf, die den Baukörper zusammen mit den Brüstungen der umlaufenden Terrassen filigran und individuell wirken lassen. Hier wird zugleich der große Abstand zu den Nachbarn mit viel Grün dazwischen deutlich. Auch die bebaute Fläche hat ein Stück Natur in Form eines begrünten Daches zurückerhalten. Die Wohnungsgrößen variieren zwischen 70, 100 und 130 m² und sind jeweils mit offenem Wohn-Essbereich, zwei separaten Zimmern, Gäste-WC inklusive Dusche und einem zusätzlichen Bad en suite ausgestattet. Sämtliche Räume verfügen über natürliches Licht und fast alle haben einen Außenzugang – entweder zum Garten oder, in den oberen Etagen, zu Balkonen. In den Penthousewohnungen entwarf das Architekturbüro außerdem die Küchen. Diese sind in schwarz ausgeführt und bilden damit einen eleganten Akzent zu den hellen lichtdurchfluteten Räumen. Die Ästhetik des Hauses schließt nicht einmal die Luftwärmepumpe aus, die nicht wahrnehmbar auf dem Dach positioniert ist.
Blicken Bauherr und Architekten auf die nur rund eineinhalbjährige Planungs- und Umsetzungsphase zurück, so kommen ihnen besonders zwei Dinge ins Gedächtnis: die Sprengung von funktionsfähigen Panzerfäusten, die auf dem Grundstück gefunden wurden, sowie die außergewöhnliche Montage der Treppenbrüstung aus Flachstahl. Diese wurde mittels eines temporären, eigens an die Decke montierten Krans durch den Treppenkern gezogen. Die Treppenläufe selbst sind aus Stahlbeton, der auch im Deckenbereich sichtbar gelassen wurde. Die Zwischenpodeste sind konstruktiv mit den darüber liegenden Geschossdecken verbunden und lassen die Treppe somit optisch im Raum schweben.
Fotos:
Roland Borgmann
www.rolandborgmann.com
(Erschienen in CUBE Ruhrgebiet 03|24)